Die Hizmet-Struktur in Deutschland
Hizmet-Anfänge in Deutschland
Nach Deutschland gelangte die Hizmet-Idee in den 1980er Jahren. Die ersten, die kamen, waren Menschen, die sich in der Türkei aktiv bei Hizmet engagierten. Sie brachten einerseits die Werte und Ideen von Hizmet nach Deutschland, andererseits aber auch die bisherige Arbeitsweise und Organisationsform. Warum sollte man das Rad neu erfinden?
Dabei wurde jedoch nicht ausreichend berücksichtigt, dass der gesellschaftliche Kontext in Deutschland sich erheblich von dem in der Türkei unterschied: Während hierzulande eine gefestigte Demokratie mit funktionierender Gewaltenteilung für eine transparente und offene Gesellschaft sorgte, lebte man in der Türkei in vielerlei Hinsicht in vordemokratischer Unsicherheit. Der Putsch vom 12. September 1980 lag nur wenige Jahre zurück, bei dem eine kleine Militärelite die gewählte Regierung durch eine andere ersetzte. Regimekritiker waren staatlichen und institutionellen Repressionen ausgesetzt, die ihre Freiheit oder sogar ihre Existenz bedrohten. Personen, die nicht der herrschenden Ideologie entsprachen, mussten um ihre Sicherheit fürchten.
In Deutschland sind Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit selbstverständliche Rechte. In der Türkei galten diese Rechte nur eingeschränkt für gläubige Menschen sowie politische und ethnische Minderheiten. Man wollte daher unerkannt bleiben. In Anlehnung an die türkischen Verhältnisse wurde Hizmet in Deutschland als ein informelles Netzwerk ohne formale Vereins- und Verbandsstruktur organisiert – gewissermaßen „unsichtbar“ für die Mehrheitsgesellschaft. Die türkeistämmige Community wurde von der deutschstämmigen Mehrheitsgesellschaft ohnehin nur am Rande wahrgenommen. Wie auch andere migrantische Selbstorganisationen blieb man „unter sich“ und da war klar, wer was warum machte. Es gab keine Notwendigkeit für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, oder formelle Organisationsstrukturen.
Rasanter Aufschwung seit 1990
Die in Deutschland sozialisierte zweite und dritte Generation mit türkischem Migrationshintergrund sah eine Notwendigkeit ihr Engagement in Vereinen und Verbänden zu organisieren. Nachhilfegruppen, die zuvor informell im privaten Kontext existierten, wurden ab Mitte der 1990er Jahre in lokal organisierten Vereinen zusammengeführt. Binnen weniger Jahre entstanden Dialog-, Unternehmer- sowie Akademikervereine. Es wurden Kulturzentren etabliert und bald darauf die ersten Schulen eröffnet. Hizmet Deutschland erlebte einen rasanten Aufschwung. Zeitweise gab es mehr als 300 Vereine unterschiedlichster Art überall in Deutschland – ihr gemeinsamer Nenner: einen Beitrag für die Gesellschaft leisten.
Aktuelle Bottom-up-Struktur
Das wachsende Potenzial für neue Aktivitäten wurde schnell deutlich. Verschiedene Vereine schlossen sich in Dachverbänden zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und wechselseitig von Best-Practice-Modellen zu profitieren. Zum Beispiel wurde 2006 der Verband Academy e.V. gegründet, in dem Nachhilfevereine erfolgreiche Methoden im Bildungsbereich besprachen und gemeinsam nach professionellen Lösungen für aktuelle Bildungsherausforderungen suchten.
Ähnlich gingen lokale Unternehmervereine vor: 2009 schlossen sich acht einzelne Verbände zum Bundesverband der Unternehmervereinigungen (BUV) e.V. zusammen. Mittlerweile sind insgesamt 20 Vereine im BUV organisiert.
Die seit 2001 entstandenen Dialogvereine schlossen sich in der Initiative Bund Deutscher Dialoginstitutionen (BDDI) zusammen. Der bundesweite Zusammenschluss koordiniert überregionale Projekte wie die Verleihung des „Deutschen Dialogpreises“. Der BDDI organisiert darüberhinaus wichtige Plattformen wie die Dialogakademien.
In den letzten Jahren entwickelt sich allmählich eine vertikale Struktur mit Fachverbänden, aus der heraus die Verbandsvertreter professionell arbeiten und das ehrenamtliche Engagement transparent koordinieren wollen. Auch eine horizontale Vernetzung existiert bereits. Hizmet-Vereine vernetzen sich in ihren jeweiligen Bundesländern in Landesverbänden.
Alle Verantwortlichen der Landesverbände sowie die Vorsitzenden der Plattformen und der Vereinsverbände treffen sich in der Arbeitsgruppe Hizmet Deutschland. Auch hier steht der wechselseitige Austausch an Wissen und Erfahrungen im Mittelpunkt.
2013 haben die Menschen in Hizmet eine rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts gegründet: die Stiftung Dialog und Bildung. Sie ist bundesweit Ansprechpartnerin für Hizmet in Deutschland und vertritt die Werte und Lehren.
Koordinator der Arbeitsgruppe Hizmet Deutschland
Die Arbeitsgruppe Hizmet Deutschland wird vom stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Stiftung Dialog und Bildung, Hüseyin Karakuş, organisiert. Als Koordinator ermöglicht er den Informationsaustausch zwischen den unterschiedlichen Engagementfeldern. Oft werden unter seiner Federführung neue, innovative Projekte angeregt bzw. gefördert.
Die historisch gewachsenen Aktivitäten von Hizmet in Deutschland spiegeln sich in Strukturen wider, die in vielen anderen Bereichen der Zivilgesellschaft üblich sind. Dies zeigt sich insbesondere auf der individuellen Ebene bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in staatlich anerkannten Bildungseinrichtungen sowie bei den zahlreichen freiwilligen Helferinnen und Helfern in den Dialog-, Frauen- und Unternehmervereinen.
Dieses Engagement ist wertvoll und schafft einen Mehrwert für die Gesellschaft.
Bund Deutscher Dıalog Instıtutıonen
Die Platform „Bund Deutscher Dialog Institutionen“ setzt sich aus den 15 lokalen Dialogvereinen in ganz Deutschland zusammen.
Time To Help
Time to Help ist ein karitativ arbeitender Verein, der seit 2006 bedürftigen Menschen sowohl in Deutschland, als auch in anderen Ländern dieser Welt hilft.
BUV e.V.
Der Bundesverband der Unternehmervereinigungen verbindet als Dachorganisation insgesamt 20 Unternehmervereine mit über 2000 Mitgliedern in ganz Deutschland.
Academy Bildungsberatung
Academy e.V. unterstützt Nachhilfe- und Bildungsvereine mit Lehr- und Lernmaterialien, Fortbildungsangeboten sowie Vorträgen und Seminaren.
Main Donau Verlag
Der 2012 gegründete Main-Donau Verlag gibt neben vielen Werken von türkeistämmigen AutorInnen die vierteljährliche Zeitschrift
“die Fontäne” heraus.
Stiftung DuB
Die Stiftung Dialog und Bildung ist der Ansprechpartner für Hizmet in Deutschland. Die Stiftung informiert über und fördert das Engagment der Menschen in Hizmet.
SCHULEN
In der Arbeitsgruppe "Schulen" tauschen sich SchulleiterInnen und SchulkoordinatorInnen/ GeschäftsführerInnen aus. Es werden über Erfahrungen und Konzepte diskutiert sowie Projektideen vorgestellt.
Jugendgruppen
Unterschiedliche Arbeitskreise befassen sich mit "Jugendgruppen". Schulen, Nachhilfezentren, Dialogvereine, Kulturzentren organisieren ihre Jugendarbeit selbst und organisieren eigene Arbeitsgruppen für den Austausch von Infos.
Kulturzentren
Die Kulturzentren in Deutschland decken mit ihren Angeboten religiöse und kulturelle Bedürfnisse der Menschen vor Ort ab. In der Zukunft wird ihre Zusammenarbeit erforderlich, um Lösungen für gesellschaftliche Probleme anbieten zu können.
Flüchtlingsinitiativen
Mit der unerbittlichen Hexenjagd in der Türkei mussten viele Menschen flüchten. In den neu entstandenen Flüchtlingsinitiativen organiseren sich die oft hochqualifizierten Menschen und tauschen ihre Erfahrungen aus, um schnelle Selbsthilfe zu ermöglichen.
HESSEN
In Hessen und Umgebung vernetzen sich die Menschen aus Hizmet in lokalen Initiativen, um Synergien zu bilden und den zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Dies geschieht durch Bildungs-, Kultur- und Dialogprojekte.
BAYERN
Seit mehr als 20 Jahren engagieren sich Menschen aus Hizmet mit unterschiedlichen Initiativen und Institutionen in Bayern. Durch Dialog, Bildungsarbeit und Kulturprojekten haben sie sich in der lokalen Zivilgesellschaft verwurzelt.
VGE BERLIN
Im „Verband für gesellschaftliches Engagement“ sind überwiegend Hizmet-nahe Institutionen in Berlin, Brandenburg und Mitteldeutschland organisiert. Der VGE e.V. möchte einen Beitrag für die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagement leisten.
VEZ-NRW
Der “Verband engagierte Zivilgesellschaft in NRW e.V.” wurde von Menschen in Hizmet gegründet und möchte für Vereine in Nordrhein-Westfalen, die sich in den Bereichen Kultur, Bildung und Soziales engagieren Netzwerkmöglichkeiten bieten.
LBE-BW
Der "Landesverband für bürgerschaftliches Engagement e.V." ist ein Zusammenschluss von Vereinen und Akteuren aus Baden-Württemberg. Insbesondere die Menschen in Hizmet verstehen unter bürgerschaftlichem Engagement eine gelebte Form der Nächstenliebe.
NORD-DEUTSCHLAND
Hizmet-nahe Vereine und Institutionen kommen in Norddeutschland in Initiativen zusammen und sind im Aufbau eines Dachverbands. Mit einer Verbandsstruktur können Netzwerkarbeit und Förderung von lokalen Projekten besser gewährleistet werden.