Die achte Ausgabe der Zeitschrift DuB behandelt das Konzept der Menschenrechte und deren Realität. Menschenrechtsverletzungen sind immer noch weit verbreitet, und internationales Strafrecht hat begrenzte präventive Wirkung. Die Menschenrechte gewinnen jedoch durch den gesellschaftlichen Diskurs und die konkreten Erfahrungen von Menschen, deren Rechte verletzt wurden, an Bedeutung. Menschenrechte sind eine universell anerkannte politisch-moralische Idee, die die Grundprinzipien von Gesellschaften auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bildet. Politische Maßnahmen sollten daher auf den Menschenrechten basieren und als Folge dessen müssen verbindliche Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsverträgen eingehalten werden.

Die Online-Ausgabe der Zeitschrift ist ab sofort hier lesbar. Die gedruckte Zeitschrift wird ab Ende Juni in unserer Stiftung und in lokalen Dialogvereinen verfügbar sein.

Themen der aktuellen Ausgabe:

  • Die Menschenrechte im Islam: Eine Einführung

    Fethullah Gülen

  • Kurze Geschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

    Dr. Rainer Huhle

  • Menschenrechte in nicht rechtstaatlichen Systemen: Völkertribunale als Wege zur Gerechtigkeit

    Oğuzhan Albayrak

  • Demokratie versus Menschenrechte? Warum Menschenrechtsarbeit auch Demokratiearbeit sein muss

    Prof. Dr. Heiner Bielefeldt

Klappentext

Im Zentrum jedes Engagements steht der Mensch. Aber ebenso steht der Mensch im Zentrum jedes gesellschaftlichen Problems, an dem wir mit unserem Engagement arbeiten möchten. Umso wichtiger ist es, jede und jeden mit Respekt und Würde zu behandeln; auch solche Menschen, die unsere Wertvorstellung nicht teilen. Oftmals urteilen wir allzu schnell über andere und stecken sie sinnbildlich in eine Schublade – und damit an einen Ort, an dem wir sie nicht mehr erreichen. Die Menschenrechte – allen voran der Grundsatz des Respekts vor dem Menschen – erinnern uns daran, dass jeder Mensch wertvoll ist, unabhängig von seiner Weltanschauung.

Vorwort

Menschenrechte – Konzept und Realität

von Prof. Dr. Hüseyin Demir
Aktion für Flüchtlingshilfe

›Säuberungen‹. Mit diesem menschenverachtenden Begriff  wurden in der jüngeren Geschichte in vielen Ländern Menschen zu Opfern staatlicher Gewalt. Um exemplarisch1 nur einige zu nennen:

  • Unter der Militärregierung in Argentinien ›verschwanden‹ Ende der 1970er Jahre mehr als 9.000 Menschen. Während der Herrschaft von Idi Amin in Uganda von 1972 bis 1978 wurden mehr als 250.000 Menschen getötet.
  • Im Irak wurden in den 1980er Jahren Hunderttausende von Zivilisten von den Sicherheitskräften ermordet.
  • Während des Bürgerkriegs in El Salvador starben zwischen 1980 und 1992 fast zwei Prozent der Bevölkerung durch politischen Mord und an den Folgen des »Verschwindenlassens«.
  • In Ruanda wurden 1994 bei dem von der Regierung gesteuerten Völkermord schätzungsweise zwischen einer halben und einer ganzen Million Menschen getötet.
  • Seit 2016 hat die türkische Regierung Hunderttausende von Menschen ›beseitigt‹, und viele Menschen wurden aufgrund willkürlicher politischer Anschuldigungen festgenommen oder inhaftiert.

In Zeitungen, Radio, Fernsehen, Internet und in anderen ›neuen‹ Medien finden sich unzählige Berichte über ähnliche Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten in anderen Ländern. Es sind Geschichten über Menschenrechtsverletzungen.

Die Ereignisse sind real, die Menschenrechte sind ›nur‹ ein Konzept – und scheinbar irreal. Aber sie lassen sich nicht nur philosophisch begründen, sie sind auch Grundlage zahlreicher Rechtssysteme, sei es die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776, sei es die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 oder die amerikanische Bill of Rights von 1791.

Seither hat die Idee der Menschenrechte viele revolutionäre Bewegungen zur Ermächtigung und zur Kontrolle der Machthaber, insbesondere der Regierungen, angetrieben. Die Menschen- rechte sind die Summe der individuellen und kollektiven Rechte, die in den Verfassungen der Staaten und im Völkerrecht verankert sind. Die Regierungen und andere Pflichtenträger sind verpflichtet, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu erfüllen, die die Grundlage für Rechtsansprüche und Rechtsmittel bilden.

Die Möglichkeit, Ansprüche geltend zu machen und Wiedergutmachung zu verlangen, unterscheidet die Menschenrechte von den Geboten ethischer oder religiöser Wertesysteme. Aus rechtlicher Sicht können die Menschenrechte als die Summe der individuellen und kollektiven Rechte definiert werden, die von souveränen Staaten anerkannt und in der nationalen Gesetzgebung sowie in internationalen Menschenrechtsnormen verankert sind.

Das Konzept der Universalität ist zu einem beträchtlichen Teil, wenn auch nicht gänzlich, juristisch. Es tauchte erstmals auf der internationalen Tagesordnung auf, als 1945 in der Charta der Vereinten Nationen erklärt wurde, dass die UNO entschlossen sei, »den Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an Würde und Wert der menschlichen Person, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau und von großen und kleinen Nationen erneut zu bekräftigen«2.

Der Ursprung der Menschenrechte ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung angenommen wurde. Die Erklärung hat die internationale Landschaft tiefgreifend verändert und sie mit Menschenrechtsprotokollen, Konventionen, Verträgen und abgeleiteten Erklärungen aller Art über- zogen. Es gibt heute keine einzige Nation, keine einzige Kultur und kein einziges Volk, das nicht auf die eine oder andere Weise in Menschenrechtsregelungen eingebunden ist.3

In zahlreichen internationalen Verträgen verpflichteten sich Staaten, einzelne gefährdete Personengruppen, etwa Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderung und andere, besonders zu schützen, aber auch einzelne Rechte wie Religions-, Meinungs- oder Versammlungsfreiheit zu gewährleisten und Verbote von Sklaverei, Folter oder Zwangsarbeit zu achten.

Und doch sind Verstöße gegen Menschenrechte an der Tagesordnung. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen geschehen unter den Augen der globalen Öffentlichkeit. Das internationale Strafrecht hat offenbar wenig präventive Macht, selbst die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes kann Menschenrechtsverstöße nicht verhindern, sondern nur rückwirkend ahnden.

Die größte Kraft entwickeln die Menschenrechte ganz sicher im gesellschaftlichen Diskurs, im Nachdenken über das Reale und über mit Gräueltaten – egal ob erlebt oder berichtet – verbundene Gefühle und Gedanken.

Dabei geht es sicher auch darum, das Konzept »Menschenrechte« in juristischer Sachlichkeit nüchtern zu betrachten, also klar, präzise und kohärent. Jura ist eine abstrakte Disziplin. Menschenrechtsverletzungen sind Tatsachen, die sich manchmal am besten in Zahlen ausdrücken lassen. Aber es besteht ein ungleiches Verhältnis zwischen unserer Kenntnis der Zahlen und unserem Verständnis ihrer Bedeutung.

Der menschlichen Intuition entspricht es viel mehr, auf wahre Geschichten von Menschen, deren Rechte verletzt wurden, mitfühlend zu reagieren, als sich auf unterschiedliche Details abstrakt formulierter Vertragswerke einzulassen. Von der konkreten Lebenserfahrung der meisten Menschen erscheinen die Rechtsschriften weit entfernt.

Das Reden und Nachdenken über Menschenrechte sollte daher mit einem einfühlsamen Verständnis der menschlichen Erfahrungen kombiniert werden. Wir brauchen das Konzept der Menschenrechte nicht, um zu wissen und zu sagen, dass diese Dinge falsch sind. Wir brauchen jedoch ein Argument, um sie abzulehnen, und eine Begründung, um sie zu verurteilen.

»Menschenrechte werden am meisten gebraucht, wenn sie am meisten verletzt werden.«4 Mit diesem Satz brachte der amerikanische Menschenrechts-Theoretiker Michael Freeman das Dilemma auf den Punkt: Menschenrechte werden im gewöhnlichen Alltag erst dann relevant, wenn die relative Sicherheit des täglichen Lebens fehlt oder entrissen wird. Dort, wo sie im All- gemeinen gut geachtet werden, neigen wir dazu, sie als selbstverständlich zu betrachten, und unterschätzen daher möglicherweise ihre Bedeutung.

Trotzdem wird das Konzept der Menschenrechte als »die einzige politisch-moralische Idee, die universelle Akzeptanz gefunden hat«5 gepriesen. Menschenrechte gelten als die zentrale moralische Frage in internationalen Beziehungen – als »Währung des internationalen moralischen Diskurses«6 oder als »modernes Werkzeug der Revolution« im »Kampf […] für die Menschen- würde in unserer Zeit«7. Immer häufiger taucht das Konzept der Menschenrechte im Zusammenhang mit Sicherheitsfragen und als Rechtfertigung für bewaffnete Konflikte auf.8

In den letzten 70 Jahren ist die zentrale Bedeutung der Menschenrechte allgemein anerkannt. Die universellen Menschenrechte bilden die Grundprinzipien aller Gesellschaften, die auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie basieren.

Vor dem Hintergrund zahlreicher Konflikte, humanitärer Notlagen und schwerwiegender Verstöße gegen das Völkerrecht, ist es deswegen heute umso wichtiger, dass die politischen Maßnahmen fest auf den Menschenrechten basieren und dass die Staaten die verbindlichen Verpflichtungen einhalten, die sie mit der Ratifizierung internationaler Menschenrechtsverträge eingegangen sind. Von der Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus über den Kampf gegen die Armut bis hin zur Steuerung wachsender Migration sind die internationalen Menschenrechtsvorschriften mehr als nur eine Orientierungshilfe. Sie bilden einen bestimmenden Rahmen für ein verantwortungsvolles und nachhaltiges politisches Handeln, egal ob auf großer Staatenbühne oder im Alltag zivilgesellschaftlichen Engagements.

Literatur

  • Cotler, Irwin, »Human Rights as the Modern Tool of Revolution«, in: Kathleen E Mahoney, Paul Mahoney (Hrsgg.), Human Rights in the Twenty-First Century. A Global Challenge, Dordrecht 1993, S. 7-20.
  • Donoho, Douglas Lee, »The Role of Human Rights in Global Securi- ty Issues: A Normative and Institutional Critique«, in: Michigan Journal of International Law 14/4 (1993), S. 827-869.
  • Freeman, Michael, Human Rights. An Interdisciplinary Approach. 2nd Edition, Cambridge 2011.
  • Glover, Jonathan, Humanity. A Moral History of the Twentieth Centu- ry, Yale 1999.
  • Henkin, Louis, The Age of Rights, New York 1990.
  • Morsink, J., »Cultural genocide, the Universal Declaration, and mino- rity rights«, in: Human Rights Quarterly 21/4 (1999), S. 1009-1060.
  • Shupack, Martin, »The Churches and Human Rights. Catholic and Protestant Human Rights Views as Reflected in Church Statements«, in: Harvard Human Rights Journal 6 (1993), S. 127-157.

Onlinequellen

Informationen

Titel:
Menschenrechte

Herausgegeben von:
Stiftung Dialog und Bildung
Berlin, Deutschland

Reihe:
Materialien zu Dialog und Bildung
DuB 8 | 04/2023

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