Zeitschrift DuB 6: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Die voranschreitende Globalisierung macht die Erde zu einem Dorf. Offene Grenzen, soziale Mobilität und gemeinsame Konfliktlösungen sind die Vorteile, die die Globalisierung mit sich bringt. Außerdem führt sie zu kultureller Vielfalt und einem Pluralismus in den Gesellschaften, was sowohl Vorteile als auch Herausforderungen in sich birgt. Einige dieser Herausforderungen sind Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, die unter dem Oberbegriff Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit subsumiert werden. Als Vertreter von Werten wie Vielfältigkeit, Solidarität und Menschlichkeit legt die Hizmet-Bewegung besonderen Wert auf die Behandlung dieser Themen. Das vorliegende Heft setzt den Fokus hierbei auf den Antisemitismus und die Islamfeindlichkeit als für unsere Gesellschaft besonders relevante Themen.

Des Weiteren widmet sich die “Dialog Akadmie 2019”, veranstaltet vom Bund Deutscher Dialoginstitutionen, dem Thema der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. In Kooperation mit der Stiftung Dialog und Bildung und vielen weiteren Hizmet-nahen Institutionen werden in verschiedenen Panels Strategien und Handlungswege zum Umgang mit Anfeindungen erarbeitet.

Themen dieser Ausgabe:

  • Wie die Angst vor dem Islam die Demokratie gefährdet

    Prof. Dr. Wolfgang Benz

  • Was heißt Antisemitismus?

    Prof. Dr. Werner Bergmann

  • Antisemitismus heute – klassische und neue Erscheinungsformen einer Ideologie

    Dr. Juliane Wetzel

  • Importierte Ignoranz

    Ercan Karakoyun

  • Güte

    Fethullah Gülen

Klappentext

Die voranschreitende Globalisierung macht die Erde zu einem Dorf. Offene Grenzen, soziale Mobilität und
gemeinsame Konfliktlösungen sind die Vorteile, die die Globalisierung mit sich bringt. Außerdem führt sie zu
kultureller Vielfalt und einem Pluralismus in den Gesellschaften, was sowohl Vorteile als auch Herausforderungen
in sich birgt. Einige dieser Herausforderungen sind Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, die unter dem Oberbegriff Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit subsumiert werden. Als Vertreter von Werten wie Vielfältigkeit, Solidarität und Menschlichkeit legt die Hizmet-Bewegung besonderen Wert auf die Behandlung dieser Themen. Das vorliegende Heft setzt den Fokus hierbei auf den Antisemitismus und die Islamfeindlichkeit als für unsere Gesellschaft besonders relevante Themen.

Vorwort

von Hanife Tosun
Stellv. Vorsitzende Stiftung Dialog und Bildung

Der Mensch lebt in Gruppen, ob Freundeskreis, Sportteam oder Arbeitsgruppe im Berufsleben. Gruppen begegnen uns überall als ein natürlicher Vorgang und sind wichtig für die Identitätsbildung des Einzelnen. Je nach Disziplin oder Definition können sich die Merkmale einer Gruppe ändern. Besonders positiv bewerten wir intuitiv das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe, es stiftet Identität und drückt innere Verbundenheit zu den anderen Gruppenmitgliedern aus. Doch zugleich birgt genau dieses Gefühl die Gefahr in sich, andere Menschen oder Gruppen anhand willkürlicher und eigentlich unbedeutender Kriterien auszuschließen oder auszugrenzen. Die Folgen können verheerend sein, wie uns Geschichte und Gegenwart lehren: In den sogenannten Pestpogromen wurden im 14. Jahrhundert ganze Gemeinden ausgelöscht, weil sie dem jüdischen Glauben angehörten. Während der Hexenverfolgung im Mittelalter wurden zehntausende Frauen, aber auch Männer aus abwegigsten Gründen eines Teufelspakts bezichtigt und mit Vertreibung, Folter und/oder Tod bestraft. Die Verfolgungen und Hexenprozesse dauerten bis weit ins 18. Jahrhundert an. Auch in der Neuzeit gibt es unzählige Beispiele, wie bestimmten Gruppen zugehörende Personen mit menschenverachtenden Etiketten versehen und in Folge elementare Rechte abgesprochen wurden. Im deutschen Gedächtnis tief verankert ist vor allem der von Nationalsozialisten organisierte Holocaust, ein unfassbares Verbrechen, bei dem Millionen Menschen ermordet und jüdisches Leben in weiten Teilen zerstört wurde.

Eine Frage stellt sich angesichts solcher Gräueltaten unausweichlich: Was treibt jemanden dazu, sich abwertend, feindselig oder gar gewalttätig gegenüber anderen oder als anders wahrgenommenen Menschen oder Gruppen zu verhalten? Es gibt ähnlich viele Erklärungsversuche wie es Arten der Diskriminierung gibt, und ihre Komplexität ist schwer zusammenzufassen. Oft entstehen Phänomene der Diskriminierung im Versuch, von eigenen, möglicherweise komplexen Problemen abzulenken. Es ist bequem, einen Sündenbock zu definieren, der einfache Erklärungen für Zustände gibt, die Ohnmachtsgefühle oder andere negative Emotionen auslösen. Beispielsweise wenn der eigentlich Verantwortliche unbekannt oder zu mächtig ist und sich deswegen nicht zur Verantwortung ziehen lässt. So stieg beispielsweise in den Jahren wirtschaftlicher Depressionen gegen- über den Jahren wirtschaftlicher Prosperität die Anzahl der Gewalthandlungen – wie am Beispiel der Lynchmorde an People of Color im Süden der USA zwischen 1882 und 1930 nachgewiesen wurde (Hovland/Sears, 1940). Mit dem erst vor wenigen Jahren geprägten Begriff „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit” (GMF) sollen die unterschiedlichen Ausprägungen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie usw. umfassend benannt werden, um den gemeinsamen Kern aller noch so unterschiedlichen Diskriminierungsarten herauskristallisieren zu können. Was alle Arten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verbindet, ermittelte ein Forschungsteam unter Leitung von Wilhelm Heitmeyer in einer Langzeitstudie: Es ist die Ideologie der Ungleichwertigkeit, „die sich in der Abwertung von unter- schiedlichen gesellschaftlichen Gruppen manifestiert und soziale Ungleichheit zementiert”. (Eva Groß, Andreas Zick, Daniela Krause, 2012) Demgegenüber ist die Gleichwertigkeit der Menschen gesetzlich durch das Grundgesetz im Artikel 3 als Basis für die Demokratie vorgegeben:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. (Art. 3 Abs. 3 GG)

Auch in den in Deutschland überwiegend vertretenen Religionen ist die Gleichheit der Menschen eine Grundüberzeugung: Im Judentum und Christentum resultiert sie aus der Grundidee der Gottesebenbildlichkeit (Gen 1, 26 f.). Im Islam sind Menschen nicht in dieser Weise aus der Schöpfung herausgehoben, aber die Gleichheit der Menschen untereinander und die friedliche Koexistenz verschiedener Gruppen ist auch hier geboten. Laut Koran (49;13) ist es die Aufgabe der Menschen, einander kennenzulernen und zu unterstützen.
Ungeachtet der rechtlichen und religiösen Grundlagen sind leider auch im gegenwärtigen Deutschland menschenfeindliche Einstellungen in unterschiedlichsten Ausprägungen deutlich sichtbar. Beobachtet man Wahlkampf und -ergebnisse und gesellschaftliche Stimmung der letzten Jahre, nehmen sie immer mehr und immer expliziter Raum ein. Möglicherweise sind ausgrenzende Aussagen und Handlungen in der Öffentlichkeit unbewusster Ausdruck gesellschaftlicher Verunsicherung. Doch die vermeintliche Angst einzelner oder vieler Menschen ernst zu nehmen, darf nicht heißen, die Augen vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu schließen.

Um zerstrittene, teilweise geradezu verfeindete Gruppen innerhalb der Gesellschaft miteinander in Dialog zu bringen, hat die Hizmet-Bewegung bereits 1994 in ihrem Entstehungsland Türkei die Stiftung der Journalisten und Schriftsteller gegründet. Autoritäre Regierungen hatten seit Gründung der türkischen Republik die große Vielfalt der Bevölkerung systematisch für eigene politische Interessen ausgenutzt. Um die eigene Macht zu sichern oder auszubauen, wurden die unterschiedlichen Gruppen gezielt gegeneinander ausgespielt. Seither ist die türkische Gesellschaft mehr oder weniger zersplittert. Insofern war es in der Geschichte der Dialogarbeit der Hizmet-Bewegung immer eine Herausforderung, kontroverse Gruppen zum Gespräch zusammenzubringen. Doch das ist immer wieder gelungen: Historische Aufnahmen dokumentieren einzigartige Begegnungen unterschiedlichster Meinungs- und Religionsvertreter bei unterschiedlichsten Stiftungsanlässen; immer wieder sieht man vermeintliche „Feinde“ friedlich oder gar freundschaftlich im Gespräch. Als besonders wichtig für diese Dialogarbeit erwies sich die Abant-Plattform, die als Thinktank der Stiftung immer wieder ein Forum für die Diskussion umstrittener sozialer und kultureller Themen bot (Cetin, 2012).

Voraussetzung ist dabei, sich kritisch auch mit eigenen Denkmustern, Haltungen und Überzeugungen auseinanderzusetzen. Sobald sich eine Dichotomie von „wir“ und „die anderen“ auftut, heißt es, darauf aufmerksam zu machen und Vorurteile – egal wie historisch tief verwurzelt – als solche aufzudecken und abzulegen. Dass es anfänglich auch innerhalb der Hizmet-Bewegung galt, eigene Vorurteile durch kritische Reflektion zu hinterfragen und abzulegen, davon berichtet Abdullah Aymaz, der Aufsichtsratsvorsitzende der Stiftung Dialog und Bildung, immer wieder aus eigener Erfahrung. Selbstkritische Reflexion ist genauso Teil der Hizmet-Bewegung wie das stete Bemühen um Dialog und Toleranz in der gesamten Gesellschaft.

Trotz der vorzeigbaren Erfolge und trotz aller Anstrengungen ist die Hizmet-Bewegung in der Türkei bedauerlicherweise selbst zwischen die Fronten der unterschiedlichen extremen Gruppen geraten und wird heute massiv verfolgt. Insofern ist gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit ein Thema, das viele Menschen der Hizmet-Bewegung schmerzlich aus der Opfer-Perspektive erfahren haben. Die Folgen von Flucht und Verfolgung in der Türkei zu mindern, stand in den letzten Jahren im Vordergrund vieler Hizmet-Aktivitäten weltweit.

In Deutschland existiert die Hizmet-Bewegung unter rechtsstaatlich abgesicherten und weniger feindseligen Rahmenbedingungen. Doch auch hier begegnet uns Ablehnung, Antipathie und Ausgrenzung, wenngleich in (noch?) deutlich weniger bedrohlichem Ausmaß als in der Türkei. Hizmet wird in Deutschland als Gruppe an sich wahrgenommen denn als Teil des Islam – der diffus als bedrohlich wahrgenommen wird. Auch hier stehen wir als zivilgesellschaftlicher Akteur – neuerdings nicht nur gemeinnützig, sondern leider auch aus eigener Betroffenheit heraus – immer dringlicher vor der Aufgabe, uns für Dialog und Toleranz einzusetzen, um die Grundbedingungen des Zusammenlebens in einer modernen Demokratie zu schützen und die Fundamente des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu verteidigen. Unser Anspruch und Ziel ist eine Kultur des Friedens und ein für alle menschenwürdiges Leben im gegenseitigen Verständnis. Da auch die Religionen Judentum, Christentum und der Islam selbst trotz ihres Ansatzes der Nächstenliebe immer wieder als hasstreibende Ideologien missbraucht werden, gewinnt neben dem interkulturellen zunehmend der interreligiöse Dialog an Bedeutung.

Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, hat der Bund Deutscher Dialog Institutionen (BDDI) in Kooperation mit der Stiftung Dialog und Bildung (SDuB) und dem Verband Engagierte Zivilgesellschaften in NRW beschlossen, „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ zum Inhalt der gemeinsamen diesjährigen Dialogakademie zu machen. Und das Netzwerk der Hizmet-Bewegung wird „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ als Thema des Jahres 2020 in den Mittelpunkt stellen.

Erfolgreich sind wir erst, wenn ein Wertekonsens verinnerlicht ist, der die Gleichwertigkeit aller Menschen zur Grundlage hat. Das bedeutet, dass sich unterschiedliche Gruppen wie die „Gliedmaßen eines menschlichen Körpers” (Gülen, 2004) mit dem Bewusstsein, Teil des Gesamten zu sein, solidarisch unterstützen: „Die Hand konkurriert nicht mit dem Fuß, die Zunge kritisiert nicht die Lippen, das Auge sieht die Fehler des Ohres nicht und das Herz kämpft nicht gegen den Verstand an.”.

Literatur

Onlinequellen

Informationen

Titel:
Gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit

Herausgegeben von:
Stiftung Dialog und Bildung
Berlin, Deutschland

Reihe:
Materialien zu Dialog und Bildung
DuB 6 | 10/2019

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit